Mythen der Gemeinnützigkeit: Was gemeinnützige Organisationen dürfen und was nicht (2)
Es gibt weit verbreitete Mythen zu der Frage, was gemeinnützige Organisationen in Deutschland dürfen und was sie eben nicht dürfen. Viele dieser Mythen entstehen durch Missverständnisse und mangelndes Wissen über die rechtlichen Rahmenbedingungen. In Teil 2 unseres zweiteiligen Magazin-Beitrags möchten wir auf weitere fünf der zehn hartnäckigsten Fehlannahmen eingehen und sie mit Fakten widerlegen.
Wenn Sie sich im gemeinnützigen Bereich betätigen, ob als Ehren- oder Hauptamtlicher in einer gemeinnützigen Organisation1, werden Sie sich regelmäßig Fragen stellen wie: „Dürfen wir das?“, „Ist das rechtlich zulässig?“, „Riskieren wir damit unsere Gemeinnützigkeit?“. Sich diese Fragen zu stellen, ist grundsätzlich vernünftig. Bei ihrer Beantwortung hilft oftmals schon ein Blick in spezifische Gesetzestexte und in den sog. Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO)2.
Die weit verbreitetsten „Gemeinnützigkeitsmythen“
Mythos 6: Der Vorstand gemeinnütziger Organisationen muss immer aus mehreren Personen bestehen
Richtig ist, dass Vereine als auch Stiftungen und andere gemeinnützige Organisationen Personen benennen müssen, die die Organisation im Rechts- und Geschäftsverkehr vertreten. Gleichwohl heißt es in den jeweiligen Gesetzen lediglich „Der Verein muss einen Vorstand haben.“ (§ 26 BGB, Vorstand und Vertretung), „Die Stiftung muss einen Vorstand haben.“ (§ 84 a BGB, Stiftungsorgane) oder „Die Gesellschaft muß einen oder mehrere Geschäftsführer haben.“ (§6 GmbHG, Geschäftsführer). Das bedeutet, dass entweder keinerlei Vorgaben zur (Mindest-)Anzahl an Personen gemacht werden oder darauf hingewiesen wird, dass eine Person grundsätzlich ausreichend ist, den Vorstand zu führen bzw. die Geschäftsführung zu übernehmen und die Organisation gesetzlich zu vertreten.
Gleichwohl legen viele Mustersatzungen für Vereine, die oftmals von Landesämtern und -ministerien herausgegeben werden, nahe, dass der Vorstand aus mehreren Personen mit unterschiedlichen Rollen – Vorsitzender, stellvertretender Vorsitzender, Kassenwart/Schatzmeister und Protokollführer – besteht. Dies ist auch sinnvoll. Allein um etwaige personelle Ausfälle zu kompensieren und die Handlungsfähigkeit des Vereins zu bewahren, aber auch eine hinreichende interne Kontrolle der gesetzlichen Vertreter zu gewährleisten.
Mythos 7: Gemeinnützige Organisationen müssen sämtliche Einnahmen zeitnah verwenden
Richtig ist, dass die Einnahmen gemeinnütziger Organisationen grundsätzlich dem Gebot der zeitnahen Mittelverwendung unterliegen.
Das bedeutet, dass die Körperschaft ihre Mittel grundsätzlich zeitnah für ihre steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke verwenden muss. Eine zeitnahe Mittelverwendung ist gegeben, wenn die Mittel spätestens in den auf den Zufluss folgenden zwei Kalender- oder Wirtschaftsjahren für die steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke verwendet werden.3
Allerdings gelten hier Ausnahmen:
1. Vermögenszuführungen nach § 62 Abs. 3 und 4 der Abgabenordnung, wie beispielsweise Zuwendungen von Todes wegen, wenn der Erblasser keine Verwendung für den laufenden Aufwand der Körperschaft vorgeschrieben hat oder für Zuwendungen, bei denen der Zuwendende ausdrücklich erklärt, dass diese zur Ausstattung der Körperschaft mit Vermögen oder zur Erhöhung des Vermögens bestimmt sind.
2. Die Abgabenordnung erklärt die Bildung verschiedener Rücklagen für zulässig. Dazu zählen u.a. die sog. „freie Rücklage“, die sog. „Betriebsmittelrücklage“ für periodisch wiederkehrende Ausgaben (z. B. Löhne, Gehälter, Mieten) und die sog. „Wiederbeschaffungsrücklage“ für Fahrzeuge und andere Wirtschaftsgüter, für deren Anschaffung die laufenden Einnahmen der Organisation nicht ausreichen.4
3. Das Gebot, die Einnahmen innerhalb dieser Frist einzusetzen, gilt – seit dem Inkrafttreten einer Reform des Gemeinnützigkeitsrechts im Dezember 2020 – nicht für Körperschaften, deren Einnahmen – im ideellen Bereich, der Vermögensverwaltung, dem Zweckbetrieb und wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb – im jeweiligen Veranlagungszeitraum unterhalb der Einnahmengrenze von 45.000 Euro bleiben. Anzumerken ist, dass die Pflicht für den entsprechenden Zeitraum nur ausgesetzt, die gemeinnützige Organisation davon nicht grundsätzlich entbunden ist.
Mythos 8: Gemeinnützige Organisationen dürfen sich nicht politisch betätigen bzw. äußern
Richtig ist, dass politische Zwecke (Beeinflussung der politischen Meinungs- und Willensbildung, Gestaltung der öffentlichen Meinung oder Förderung politischer Parteien) nicht zu den gemeinnützigen Zwecken i. S. d. § 52 AO zählen.
In entsprechenden Urteilen des BFH wurde jedoch entschieden, dass es einer steuerbegünstigten Körperschaft gleichwohl gestattet ist, „auf die politische Meinungs- und Willensbildung und die Gestaltung der öffentlichen Meinung Einfluss zu nehmen, wenn dies der Verfolgung ihrer steuerbegünstigten Zwecke dient und parteipolitisch neutral bleibt“.5
Hinsichtlich der politischen Betätigung außerhalb der satzungsmäßigen steuerbegünstigten Zwecke gilt, dass die Tagespolitik nicht im Mittelpunkt der Tätigkeit der Körperschaft stehen darf. Gleichwohl ist es „nicht zu beanstanden, wenn eine steuerbegünstigte Körperschaft außerhalb ihrer Satzungszwecke vereinzelt zu tagespolitischen Themen Stellung nimmt.“6 Damit sind beispielsweise der Aufruf eines Sportvereins für Klimaschutz oder gegen Rassismus gemeint.
Mythos 9: Gemeinnützige Organisationen dürfen kein bezahltes Personal haben
Richtig ist, dass die überwiegende Zahl gemeinnütziger Organisationen in Deutschland – rund 70 Prozent! – ausschließlich von ehrenamtlichem Engagement getragen wird7, es jedoch auch rechtlich zulässig ist, Personal für seine Tätigkeit zu entlohnen.
Auch die gemeinnützige Organisation kann als Arbeitgeber auftreten und z. B. Vereinsmitglieder als auch „externe Personen“ als Arbeitnehmer einstellen, hat dabei (aber) dieselben Pflichten wie jeder andere, nicht gemeinnützige Arbeitgeber, wozu die Vergütung der Arbeitnehmer, aber auch die Zahlung von Lohnsteuern und Sozialabgaben gehört.8
Bevor die Möglichkeit in Anspruch genommen wird, Ehrenamtliche für ihre Tätigkeit zu entlohnen, sollte aber ein Blick in die „Verfassung“ der Organisation, z. B. in die Vereinssatzung erfolgen, um zu prüfen, ob es auch von Seiten der Organisation zulässig ist, ihnen Vergütungen zu zahlen. Grundsätzlich gilt, dass Vorstandsmitglieder unentgeltlich tätig sind. Einzelne Organisationen schließen eine Vergütung sogar explizit aus. Sofern dies der Fall ist, muss hier vor der Zahlung von Vergütungen eine Anpassung vorgenommen werden, um einen Satzungsverstoß zu vermeiden. Gleiches gilt im Übrigen für den Fall, dass Ehrenamtliche eine sog. Ehrenamtspauschale erhalten oder Geschäftsführer angestellt werden sollen.
Was die Höhe von Vergütungen – insbesondere für Geschäftsführungen und Vorstände – anbelangt, ist es ratsam, sich im Zweifelsfall ein Gehaltsgutachten erstellen zu lassen und die Abstimmung mit der zuständigen Finanzbehörde zu suchen, um den eigenen steuerbegünstigten Status nicht zu gefährden.9 Denn das Gemeinnützigkeitsrecht schreibt vor, dass „keine Person (…) durch unverhältnismäßig hohe Vergütungen begünstigt werden [darf].“10
Mythos 10: Die Begriffe „Spenden“ und „Sponsoring“ sind Synonyme
Richtig ist, dass es sich bei Spenden und Sponsoringgeldern grundsätzlich um zwei verschiedene Formen von Zuwendungen an steuerbegünstigte Organisationen handelt, die unterschiedliche steuerliche Folgen auslösen.
Auch wenn „Sponsoring“ kein gesetzlich definierter Begriff ist, hat das Bundesministerium der Finanzen im sog. Anwendungserlass zur Abgabenordnung (kurz: AEAO) dargelegt, was unter „Sponsoring“ üblicherweise zu verstehen ist: nämlich „die Gewährung von Geld oder geldwerten Vorteilen durch Unternehmen zur Förderung von Personen, Gruppen und/oder Organisationen in sportlichen, kulturellen, kirchlichen, wissenschaftlichen, sozialen, ökologischen oder ähnlich bedeutsamen gesellschaftspolitischen Bereichen (.), mit der regelmäßig auch eigene unternehmensbezogene Ziele der Werbung oder Öffentlichkeitsarbeit verfolgt werden. (...).“11
Damit hat es ausgeführt, dass es zum einen neben finanziellen Zuwendungen von Unternehmen an gemeinnützige Organisationen auch um Sach- und Dienstleistungen gehen kann, z. B. die Überlassung eines Fahrzeugs zur Verteilung von Lebensmitteln an Bedürftige, und zum anderen Ziele und Interessen des Unternehmens, vornehmlich die Steigerung des Bekanntheitsgrads des Unternehmens, Ausgangspunkt einer Sponsoringbeziehung sind.12
Unabhängig von der Frage, ob diese Beziehung in Form eines schriftlichen Vertrages fixiert ist, so findet innerhalb des Sponsorings doch immer ein Austausch von Leistungen, ein Geschäft auf Gegenseitigkeit statt. Dies grenzt das Sponsoring in der „reinen Theorie“ von Spenden ab, die im Grundsatz auf Freiwilligkeit und Unentgeltlichkeit, also ohne die Erwartung einer Gegenleistung, beruhen. Dies ist eine unabdingbare Voraussetzung für den Spendenabzug.13
Nähere Informationen finden Sie in unserem Magazin-Beitrag „Sponsoringeinnahmen gewinnen“.
Im Zweifelsfall Rechtsberatung einholen
Die Bewertung der gemeinnützigkeitsrechtlichen Vorgaben kann – trotz intensiver Lektüre der Gesetzestexte und öffentlich zugänglicher rechtlicher Bewertungen und Kommentierungen – heraus- und mitunter auch überfordernd sein. Daher sollten Vertreterinnen und Vertreter gemeinnütziger Organisationen sich nicht scheuen, hier professionelle Beratung einzuholen, wenn die entsprechende Kompetenz und Expertise auf Mitgliederseite nicht vorliegt.
Bei Non Profit-Organisationen, die rechtliche Unterstützung benötigen, jedoch nicht die finanziellen Ressourcen haben, um diese in Anspruch nehmen zu können, vermittelt beispielsweise der gemeinnützige Verein „BRAWO pro bono e. V.“ Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte an in der BRAWO-Region (Braunschweig, Gifhorn, Peine, Salzgitter und Wolfsburg) tätige Non Profit-Organisationen, welche sie bei konkreten Rechtsfragen unentgeltlich und zeitlich begrenzt unterstützen.
Sollten auch Sie eine solche Rechtsberatung benötigen, mit Ihrer Organisation aber außerhalb der BRAWO-Region tätig sein, sollten Sie sich mit der „UPJ pro bono Rechtsberatung“ näher auseinandersetzen. Seit 2018 vermittelt auch UPJ pro bono-Engagement von Anwältinnen und Anwälten und Kanzleien an gemeinnützige Organisationen, die die finanziellen Mittel für eine Rechtsberatung nicht aufbringen können. Das Angebot umfasst die Vermittlung konkreter Beratungsmandate, die von Kanzleien unentgeltlich übernommen werden.
In einzelnen Fällen kann vor dem Abschluss eines Beratungsmandats bereits der Austausch mit der zuständigen Finanzbehörde helfen, die spezifische Frage zu klären. In besonders wichtigen Fällen sollte ein Antrag auf eine verbindliche Auskunft gestellt werden, auch wenn dies gewöhnlich mit Kosten verbunden ist.9
Nehmen Sie gern mit uns Kontakt auf, wenn Sie Rückfragen oder Anmerkungen zu diesem Beitrag haben.
Hinweis:
Die Mythen 1 bis 5 haben wir in Teil 1 des zweiteiligen Magazinbeitrags thematisiert.
Dieser Beitrag stellt keine rechtliche Beratung dar und ersetzt diese nicht. Der Beitrag wurde auf Grundlage seriöser Quellen erstellt und soll der ersten Orientierung dienen.
Wesentliche Quellen:
1 Wenn von gemeinnützigen Organisationen gesprochen wird, sind zumeist – und auch in diesem Beitrag – sowohl diejenigen Organisationen gemeint, die gemeinnützige Zwecke (nach § 52 AO), die mildtätige Zwecke (nach § 53 AO) oder die kirchliche Zwecke (nach § 54 AO) verfolgen.
2 „Interne Verwaltungsanweisung zur Auslegung der Abgabenordnung. Der Anwendungserlass bindet nur die Finanzverwaltung der Länder (Landesfinanzverwaltung, Steuerverwaltung), nicht aber die Finanzgerichtsbarkeit (Finanzgerichte und der Bundesfinanzhof (BFH)). Änderungen und Neufassungen der Verwaltungsanweisungen zu den einzelnen Vorschriften erfolgen regelmäßig mittels BMF-Schreiben.“
(Quelle: https://wirtschaftslexikon.gabler.de)
Bundesministerium der Finanzen (BMF): Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) 2023 - Steuerbegünstigte Zwecke i.S.d. §§ 51-68 AO; in einer von der Deutschen Stiftungsakademie veröffentlichten, kostenfrei abrufbaren Version: www.stiftungsakademie.de/deutsche-stiftungsakademie/aeao
3 Quelle: AEAO, S. 15
4 s. § 62 AO “Rücklagen und Vermögensbildung” und AEAO S. 35 und 36
5 Quelle: AEAO, S. 12, Nr. 16 „Politik kein eigener steuerbegünstigter Zweck“
6 ebd.
7 Quelle: Schubert, Peter et al.: ZiviZ Survey 2023: Zivilgesellschaft in Krisenzeiten (Trendbericht). S. 19; online abrufbar unter: www.ziviz.de
8 nähere Informationen zu den arbeitsrechtlichen Pflichten finden sich in dem folgenden Beitrag: www.deutsche-stiftung-engagement-und-ehrenamt.de
9 ein Urteil des Bundesfinanzhofes aus dem Jahr 2000 dokumentiert „Die fehlende Gemeinnützigkeit bei unverhältnismäßig hohen Geschäftsführervergütungen“: www.bundesfinanzhof.de
10 gemäß § 4 Anlage 1 zu § 60 der Abgabenordnung: www.gesetze-im-internet.de
11 Quelle: AEAO, S. 40 (unter „8.“)
12 „Der Sponsor kann, und das macht Sponsoring für ihn zusätzlich interessant, seine Aufwendungen als Betriebsausgabe absetzen, wenn er einen wirtschaftlichen Vorteil für sein Unternehmen anstrebt. Dieser Vorteil kann in der Erhöhung oder Sicherung des Ansehens des Unternehmens oder auch in werbewirksamen Hinweisen auf die Produkte des Unternehmens liegen. Da er einen Werbe-Effekt erzielt, sind die Kosten, die er aufwendet, für ihn als Betriebsausgaben abziehbar!“ (Quelle: Vereinswelt (Hrsg.): Sponsoring rechts- und finanzamtssicher gestalten, 2022)
13 „Nach der Rechtsprechung des BFH muss eine Spende ohne die Erwartung eines besonderen Vorteils gegeben werden. Unentgeltlich ist eine Spende nur, wenn sie „weder privat- noch gruppennützig, sondern ausschließlich fremdnützig, d. h. zur Förderung des Gemeinwohls verwendet wird“ (BFH, Urteil vom 02.08.2006, Az. XI R 6/03, Abruf-Nr. 063232).“, zitiert von Pfeffer, Wolfgang: Der richtige Umgang mit Spenden (Teil 2): Spenden und Sponsoring, in: StiftungsBrief 04-2021, S. 66
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